Die große Autoshow
Es gehört zu meinen Lieblingswitzen über Autoausstellungen, dass man sie in der Regel am geschicktesten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht. Für Tokyo mit seinem perfekten Nahverkehr gilt das allemal. Aber natürlich ist die Pointe etwas billig – schließlich erreicht man ja auch viele Dorf-Bahnhöfe nur mit dem Auto.
In den meisten Städten läuft der Weg zur Messe bekanntlich wie folgt ab: Man folgt ab dem Bahnhof einfach den Anzugträgern. Sobald kein Müll mehr herumliegt und die Rolltreppen funktionieren, hat man das Messegelände erreicht. In Tokyo geht diese Taktik hingegen nicht auf. Hier sind die Bahnen morgens voller “Pinguine”, die einen überall hinführen können. Wo es dann garantiert auch sauber und ordentlich ist.
Nach einem Corona-bedingten Aussetzer in 2021 startet die japanische Automesse in diesem Jahr unter einem neuen Namen: Aus der “Tokyo Motor Show” wurde die “Japan Mobility Show”. Das erinnert sofort an die IAA, die ja ebenfalls eine Neuorientierung hinter sich hat. Auch in Tokyo ist das sicherlich eine Antwort auf die abnehmende Bedeutung
- des eigenen Markts (vgl. China),
- des Messezirkus insgesamt (vgl. die zunehmende Anzahl Konzern-eigener Events) sowie
- der privaten Autos im Mobilitätsmix (vgl. Fahrdienste in China/Nord-Amerika oder die auto-reduzierten Innenstädte in Paris, Barcelona usw.)
Im Gegensatz zur IAA hat sich der Veranstaltungsort in Tokyo nicht geändert. Die Messe, die bei ihrem Debut 1954 in einem Park und drei Jahre darauf auf einer Fahrrad-Rennbahn (!) ausgetragen wurde, findet weiterhin im “Big Sight” auf einer der vielen künstlichen Inseln vor dem Stadtzentrum statt.
Offroad-Studien aus Toyota-Land
In den meisten Messehallen zeigen japanische Hersteller ihre Exponate, allen voran Toyota. Das Branchen-Schwergewicht stellt auch einen richtig fetten Brummer in die erste Reihe: Der “Century” litt schon in den vorherigen Generationen nicht unter Magersucht. Die Neuauflage im SUV-Format wird seit September produziert, und hat nun leider auch sämtlich Eleganz abgelegt. Hoffentlich hat sich der Kaiser vorher noch eine zwei der bisherigen Limousinen gesichert.
Überhaupt erkennt man Toyota an seinem eigenen Messestand nicht wieder. Kein Prius und kein Corolla weit und breit, dafür Pickups und Mars-Rover-Konzepte. Angeblich werden für die Besuchertage ab dem Wochenende noch ein paar massentauglichere Modelle in die Halle gerollt.
Die Nobelmarke des Toyota-Konzerns ist Lexus. Und natürlich müssen deren Kunden im Mad-Max-Szenario auch irgendwo bleiben. Also hat man dort den Mars-Rover einfach noch einmal gebaut. Doch spätestens bei dieser gediegenen Marke wirkt das Gefährt dann etwas fehl am Platz.
Einen Stand weiter zeigt Mazda seinen scheinbar zeitlosen Klassiker, den Roadster MX-5. Und ansonsten… nichts. Man sieht das allererste Modell, eine Art Kinder-Spielzeug im Maßstab 1:3, das aktuelle Modell sowie die Studie “Iconic SP” auf den Nachfolger. Aber keine Familienkutsche, kein SUV, kein Kei Car.
Der Stand von Honda ist ähnlich groß wie der von Toyota. Die Autos muss man hier jedoch fast mit dem Fernglas suchen. Sie stehen verstreut hinter einem Business-Jet, einem vollautonomen Bus-Konzept und einem eBike. Neben einem Akku-betriebenen Mini-Bagger. Die meisten dieser Exponate sind übrigens bereits in Produktion, und Honda offenbar schon ziemlich nah dran als Anbieter von Mobilität als Gesamt-Kunstwerk.
Auf dem Messestand von Subaru, an denen Toyota auch mit 20% beteiligt ist, stehen tatsächlich nur Pkw. Es gibt zwei Arten Autos, bei denen eine Hutze auf der Motorhaube nicht peinlich ist: V8 Muscle Cars aus den 1970ern und Subarus. Leider sind bei Letzteren die Hutzen durch die Elektrifizierung der Flotte ernsthaft vom Aussterben bedroht.
Auch über dem Subaru-Stand kreist ein Luftfahrzeug – wenn auch nur auf einer riesigen Video-Leinwand. Aber ähnlich wie bei Honda ist das nicht von ganz weit hergeholt: Subaru baut seit Jahrzehnten Hubschrauber und Flugzeuge, ist also gerüstet, falls das mit den Flugtaxis eines Tages Formen annimmt.
In einer Halle etwas abseits des Hauptgeschehens gibt es eine Neben-Ausstellung zu Campern und sonstigen Umbauten. Der Markt ist gewiss nicht groß, aber dennoch umkämpft. Japan-typisch gesellen sich zu den “Großen” auf Ducato- oder Sprinter-Basis hier etliche Wohnmobile, für die Toyota HIACE Kleinbusse oder sogar Kei Trucks umgebaut werden.
BYD vertritt die Volksrepublik
Es ist erstaunlich, dass es ausgerechnet der chinesische Hersteller BYD ist, der so etwas wie den Prototyp des klassischen Auto-Messestands hingestellt hat: Jede Menge Autos, ein paar Technik-Exponate, fertig. Ein Schnittmodell verdeutlich die Strategie des Cell-to-Body. Dabei werden die Batteriezellen als tragender Teil in die Karosserie integriert. Das verringert Gewicht und Kosten, erschwert Austausch und Reparatur aber enorm. Ob sich Japan als großes Repair Café davon überzeugen lässt, wird sich zeigen. Mut beweist BYD in jedem Fall, denn es ist der einzige chinesische OEM auf der diesjährigen Messe.
Mercedes-Benz und BMW sind die Einzigen aus Deutschland
Der Stand von BMW ist ohne Überraschungen: SUVs und Limousinen, mal mit Benzin- und mal mit Elektroantrieb. Die Standfläche ist ungefähr doppelt so groß die von Mercedes-Benz, obwohl die Zulassungszahlen in Japan nur in etwa bei der Hälfte liegen.
Die Münchner haben sich die Mühe gemacht, ihre Vision der “Neuen Klasse” kurz nach der IAA nach Tokyo zu transportieren. Das zeitgleich präsentierte, ähnlich veranlagte “Concept CLA” aus Stuttgart ist in Japan hingegen nicht zu sehen. Den Platz auf der Bühne nimmt das bereits bekannte “Concept EQG” ein. Das ist angesichts der Begeisterung der Japaner für die G-Klasse sicherlich kein Fehler.
Nissan hat für alle Etwas
Der zweitgrößte japanische Hersteller ist Nissan. Auf ihrem Messestand zeigt der Konzern mit Sitz in unserer aktuellen Wahlheimat Yokohama fast das gesamte Portfolio. Die Studien tragen allesamt den Vornamen “Hyper”, darunter der “Hyper Force” als Ausblick auf einen 1.000 kW starken GT-R. Aber auch die Brot-und-Butter-Autos sind auf dem Stand zu finden, allen voran der Elektro-Marktführer LEAF. Bei der Sitzprobe spricht mich eine Hostess an – auf Englisch!. Nach einigen Stunden auf der Messe, die ich mit meinem brüchigen Japanisch bestreiten musste, ist das eine schöne Überraschung.
Die Messe ist auch nur ein Stadtteil wie alle anderen
Nachdem ich die Autohersteller abgeklappert habe, ist es Zeit für eine Mittagspause. Dabei gibt es die Qual der Wahl. Die regulären Food Courts und “Ruhezonen” der Messehallen sind bereits riesig und an diesem Tag, der für die Presse reserviert und daher nicht besonders geschäftig ist, nur spärlich belagert. Vor den Hallen haben darüber hinaus viele Food Trucks Stellung bezogen. Dass die deutsche Wurstbraterei genau zwischen Mercedes-Benz, BMW und der Wohnwagen-Ausstellung positioniert ist, kann kein Zufall sein. Wer sich die Zeit nimmt, kann dann bei der Pause auch den Blick über die Hafenanlagen vor Tokyo schweifen lassen. Es gibt unzweifelhaft unangenehmere Messe-Standorte.
Natürlich gibt es auf dem Gelände auch ein Dutzend Konbinis. Denn ohne die wäre so ein Messetag ja nicht “convenient”. Darüber hinaus gibt es Läden, um den eigenen Messestand zu retten (im Sortiment u.A.: Panzertape und Filzstift, Cutter-Messer und HDMI-Kabel). Und in der großen Eingangshalle befindet sich sogar eine improvisierte Filiale des omnipräsenten Logistik-Riesen “Kuroneko Yamato”. So muss man seine Mitbringsel nicht den ganzen Tag herumschleppen. Und als Aussteller kann man aus der Zentrale bequem noch ein paar tausend Kugelschreiber oder Schlüsselanhänger nachbestellen. Die japanische Dienstleistungs-Gesellschaft endet eben nicht am Messe-Eingang.
Nach dem Mittag und einem kurzen Abstecher zu den Automobil-Zulieferern ist es Zeit für den “Mobility”-Teil der Mobility Show. In der Start-Up Zone zeigen Tüftler, dass die Menschheit keine Probleme mehr hat – oder wie sie Probleme lösen kann, von denen ich bislang gar nichts wusste.
Die Tokyo Future Tour
Ein Elektro-Chopper, der zwar keinerlei Gepäcktransport ermöglicht, aber einen eingebauten 2 kW Inverter zur “Versorgung” des Campingtrips besitzt, klingt nach einer sehr überschaubaren Marktlücke. Autonome Wasser- und Winterdienst-Dronen finden in einem schneereichen Inselstaat sicherlich mehr Verwendung. Mein persönliches Highlight ist jedoch die Unkraut-Jäte-Drone für Reisfelder. Sie erspart sowohl die traditionelle Schwerstarbeit als auch die moderne Zwischenlösung mittels Chemie-Keule und ist bereits seit einiger Zeit im Pilot-Betrieb.
Das große Bild von der zukünftigen Mobilität haben die Messeveranstalter in der “Tokyo Future Tour” zusammengetragen. Zunächst sehen die Besucher einen Eröffnungsfilm: Liefer-Dronen bringen die neuesten Einkäufe, während man im autonomen Bus immersiv zugewummert zum Mond-Fähren-Flughafen kutschiert wird – über immer noch oder erst recht komplett verstopfte Straßen.
In der eigentlichen Ausstellung zeigen dann unter anderem die japanischen Riesenkonzerne wie Kawasaki und Hitachi ihren Teil der Lösung. Der erste Blick fällt aber auf das größte Exponat, das bislang nur als “Elefant im Raum” der Mobilitätsmesse beiwohnte: Ein Eisenbahn-Waggon. Diese Technologie, fast zweihundert Jahre alt, wickelt in ganz Japan jeden Tag im wahrsten Sinne des Wortes reibungsfrei den Großteil der Personenbeförderung ab.
Darum schwirren lauter Klein- und Kleinstfahrzeuge. Geht es nach den Tüftlern, kann man demnächst auch aus fahrenden Automaten Gachas, die kleinen Plastikkugeln mit Spielzeug darin, kaufen. Busse, die den verbliebenen Bewohnern entlegener Dörfer einen mobilen Supermarkt bringen, sind dann autonom unterwegs. Und Lieferroboter, die den kurzen Gang zum Konbini auch noch ersparen, haben wir ja bereits selbst testen dürfen.
Der weitere Weg führt durch einige Stände zum Thema Wasserstoff, mit dessen Import Japan zukünftig den von Kohle, Öl und Gas ersetzen möchte. Das große “H2 Festival” eine Halle weiter hat am Pressetag allerdings noch nicht geöffnet. Allein mit den Photovoltaik-belegten Radwegen, die auch gezeigt werden, wird man die Energiewende in Japan jedenfalls nicht schaffen. Dafür bräuchte man schließlich erst einmal Radwege.
Das Thema “Emergency” im darauffolgenden Ausstellungsabschnitt bekommt in Japan bekanntlich immer viel Platz eingeräumt. “Search and Rescue”-Missionen sollen zukünftig vermehrt durch autonome Vehikel unterstützt werden.
Der Tag auf der Japan Mobility Show endet unterhaltsam. Im Entertainment-Abschnitt kann man unter anderem Pacman im Go-Kart mit VR-Brille spielen. Auch wenn japanischen Unterhaltungsriesen wie Nintendo und Co normalerweise wegweisend sind, haben deutsche Kirmes-Besucher hier eindeutig den Erfahrungsvorsprung vom Autoscooter.
Direkt daneben gibt es außerdem den obligatorischen Test-Parcours für die Fahrzeugkategorie “Gerät, auf dem man lächerlich aussieht”. Wenn sich meine Prognose bewahrheitet, werden wir die omnipräsenten eScooter schon bald durch aufblasbare Sessel ersetzen. Dran- bzw. draufbleiben lohnt sich.