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Mit Bus und Bahn durch Tokyo

Die Region Tokyo ist berühmt für ihren Nahverkehr. Aber warum ist das so? Und wie gut kommt man denn wirklich mit Bus und Bahn voran?

Am Anfang war der Fahrplan. Den gibt es hier auch. Aber er muss einen nicht interessieren. Die Recherche dauert oft länger als die Wartezeit auf die nächste Fahrt. Bei uns in Hiyoshi fahren die “Local Trains” (Bummelzüge, die überall halten) und Express im Wechsel. Alle 3 min hält ein Zug. Wen interessiert da, wie lange es gerade bis zum nächsten dauert?

Diese “Laissez-fahr-Praxis” hat eine Ausnahme: Der letzte Zug. Auch wenn es in einer Stadt, die niemals (ganz) schläft überrascht: In Tokyo fahren die Züge nicht die ganze Nacht durch. Irgendwann kurz nach Mittternacht ist Schluss, auch am Wochenende. Die Gründe vermute ich im Lärmschutz. Auf vielen Abschnitten fahren die Züge den Anwohnern quasi durchs Schlafzimmer. Und deren Häuser sind zwar erdbebensicher, aber nicht besonders gut schallisoliert.

An ein passendes Ticket kommt man entweder sehr kompliziert oder sehr einfach. Bei der einfachen Variante lädt man vorab Geld auf seine Wertkarte, die Suica. Diese hält man dann beim Betreten des Bahnsteigs an ein Lesegerät, woraufhin sich das kleine Tor dahinter öffnet. Das funktioniert sogar, wenn die Karte im Portmonee verbleibt. Auch das Handy oder die Smart Watch beherrschen diesen Trick. Beim Verlassen des Zielbahnsteigs erfolgt das gleiche Spiel und der Fahrpreis wird abgebucht. Fertig. Die komplizierte Variante besteht daraus, am Ticket-Automaten ein Einzelticket zu ziehen. Die Maschine ist baugleich mit dem Mission Control Center der russischen Raumfahrtagentur Roscosmos in Baikonur. Lasst die Finger davon.

Wenn man bei Ankunft zu wenig Guthaben auf der Suica hat, oder ein zu günstiges Einzelticket erworben hat, macht das übrigens nichts. Das Tor verweigert dann die Öffnung und man zahlt einfach am Nachzahlautomat oder beim “Station Master” die Differenz. Mehr nicht. Da man nicht ohne Entrichtung des korrekten Fahrpreises von A nach B kommt, gibt es in Japan keine “Beförderungserschleichung” und mit einem entsprechenden Versehen wird sehr menschlich umgegangen. Da die Bahnlinien von unterschiedlichen Gesellschaften betrieben werden, muss man übrigens teilweise auch beim Umsteigen aus- und wieder einchecken. Die Züge sehen aber alle komplett gleich aus.

Treppenabgang zum Gleis mit ordentlichen Wegweisern
Angenehm: Die Beschilderung erfolgt an allen Bahnhöfen nach durchgängiger Logik. Die Züge halten alle stets an “ihren” festen Gleisen (gleich unseren U-Bahnen). Das nimmt auch dem Umsteigen an den großen Bahnhöfen den Schrecken.

Die Fahrpreise sind günstig, eher noch unter Berliner, geschweige denn auf Stuttgarter Niveau. Aber sie sind für mich nicht immer schlüssig. Für die 15 km nach Shibuya zahlen wir 220 ¥, das sind umgerechnet gerade 1,50 Euro – Schnäppchen. Wer jedoch einen Kilometer weiter in dieselbe Richtung nach Roppongi fährt, zahlt schon 390 ¥, also 2,80 Euro. Ich vermute, dass irgendein verantwortlicher Japaner zulange in Deutschland mit seinen Tarifzonen gelebt hat.

Busse kosten pauschal 200 ¥, weshalb wir die eine Station bis zum Bahnhof in der Regel laufen. Zumindest bis wir mal eine Zeitkarte haben. Bei den wenigen, notwendigen Fahrten in den rumpeligen Bussen habe ich festgestellt, dass die Fahrer hier alle ein “Britney-Spears-Mikrofon” tragen. Nicht wenige singen die Hinweise und Dankesformeln und entschädigen so etwas dafür, dass dieses Verkehrsmittel gegenüber den Zügen eine Enttäuschung ist.

Der Netzplan ist so, wie man es erwarten würde, wenn man zehnmal Berlin aneinander legt: Da kann wirklich niemand mit arbeiten. Google Maps ist daher hier ein treuer Begleiter, denn es kennt die Zeiten und Preise exakt. Es empfiehlt sogar, in welchen Wagen man am besten einsteigt, damit man schneller umsteigen kann. Damit kann nichts schiefgehen.

Google Maps Screenshot, auf dem die aktuelle Position weit weg ist von der geplanten Route

Einschub: Während der Autor diese Zeilen hochkonzentriert im Zug auf sein Handy tippt, verpasst er seinen Umstieg und fährt für etliche Stationen in die falsche Richtung, s. links bzw. oben.

Wie steht es um die Pünktlichkeit? Ja. 

Mehr muss man dazu wirklich nicht sagen. Wenn der Zug gefühlt einmal in der Woche zwei Minuten auf einen überholenden Express warten muss, entschuldigt sich der Fahrer per Durchsage bereits unentwegt.

Eine Abfahrtstafel am Bahnhof in Hiyoshi
Nach den Zügen könnte man die Uhr stellen. Wenn dort nicht eh noch die Zeit stünde.

Auch die Mitfahrer tun das Ihre. Die Disziplin der Japaner im Nahverkehr ist unglaublich. Kaum jemand unterhält sich. Absolut niemand (!) telefoniert oder hört laut Musik. Wenn es voller wird, nehmen alle ihre Rucksäcke und Taschen vor den Körper, um bei Wendemanöver keine anderen Fahrgäste umzuboxen.

Es gibt Sitzplätze für Senioren und Schwangere. Sowie ganze Frauenwagen. Die sind aber nicht besonders deutlich gekennzeichnet, sodass sich unaufmerksame Ausländer da mitunter hinein verirren. Habe ich zumindest gehört… Weitere “Spezialwagen” haben eine reduzierte Klimaanlage für die Fahrgäste, die das nicht vertragen. Zu dem Thema ist die Deutsche Bahn bekanntlich großzügiger, und gönnt diesen Service dem gesamten Zug.

Ein letztes Kuriosum, für das der Nahverkehr von Tokyo bekannt bzw. berüchtigt ist, sind die Drücker. Jeder von uns kennt die Videos, in denen mehrere Bedienstete des Bahnunternehmens auch noch den letzten Fahrgast in die Bahn pressen. So extrem habe ich es hier noch nicht erlebt. Aber hier drücken zur Rushhour die Fahrgäste im Zweifelsfall selbst schon ganz ordentlich. Deutlich stärker jedenfalls, als man es angesichts der Zurückhaltung, die ansonsten gegenüber Anderen herrscht, für möglich halten würde.

Noch habe ich aber auch noch nie den berühmten letzten Zug genommen. Vielleicht bekomme ich dann die Drücker eines Tages auch noch zu sehen.

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