Als die MS Ishikari am 11. März 2011 nach ihrer Jungfernfahrt in Tokyo einläuft, ist die Feierlaune schnell vorüber. Denn um 14:46 Uhr wird die Stadt von einem schweren Erdbeben getroffen, das etliche Verletzte und sogar zwei Tote fordert. Aus dem Gebiet nahe des Epizentrums im Norden kommen jedoch rasch noch viel schlimmere Berichte.
Eine Stunde nach dem Beben trifft zudem ein Tsunami den Nordosten Japans. In der Millionenstadt Sendai wird der Flughafen überflutet. Teile der Hafenanlage stehen in Flammen. Die bis zu 15 Meter hohe Welle hat in der ganzen Region große Landstriche verwüstet und Hunderttausende Gebäude mitgerissen.
Die Ishikari ist seit diesem Tag vor 13 Jahren im Liniendienst zwischen der Hauptinsel Honshu und der nördlichen Insel Hokkaido. Als ich heute in Sendai auf dem Rückweg von der Wintererprobung von Bord rolle, ist von der Katastrophe nichts mehr zu sehen. Der Fährhafen ist so grau und unwirtlich wie an allen anderen Orten. Auf dem von unzähligen LKW zerfahrenen Asphalt liegen die dreckigen Reste der jüngsten Schneeschauer. Einzig die Hinweisschilder, dass man sich in einer potenziellen Tsunami-Überflutungszone befindet, sind etwas prominenter platziert als im übrigen Japan.
Mein Weg führt von Sendai weiter nach Süden die Küste entlang. Digitale Schilder an der Autobahn sind die ersten Vorboten der dritten Katastrophe, die sich hier 2011 nach dem Seebeben und dem anschließenden Tsunami ereignete – und die bis heute wirkt. In regelmäßigem Abstand informieren die Anzeigentafeln über die aktuell gemessene radioaktive Strahlung.
Die Werte liegen an diesem Tag zwischen 0,1 und 1,8 Mikrosievert je Stunde. Das ist nur etwa ein Zehntel der Intensität, der man an Bord eines Flugzeugs ausgesetzt ist. Es ist aber auch mehr als das Zehnfache der natürlichen Strahlung und führt zu einer Belastung, die für strahlungsexponierte Beschäftigte in der EU gerade noch zulässig ist.
Etwa 30 Kilometer nördlich des ehemaligen Atomkraftwerks Fukushima 1 sehe ich von der Autobahn aus die ersten Bagger. Arbeiter in Schutzanzügen nehmen damit die oberen Bodenschichten der Gebiete auf, die deutlich stärker belastet sind, als die Messstationen an der Autobahn. Sie verpacken die Erde in kubikmetergroßen Kunststoffsäcken und stapeln sie schließlich aufeinander. Seit Jahren geht das so. In der gesamten Region sind mittlerweile Millionen dieser Beutel gelagert.
Die derart bearbeiteten Flächen sind teilweise immer noch als Reisfelder zu erkennen. Kleine Dämme rundherum ermöglichten es früher, sie im Frühjahr zu fluten. Heute wird hier nichts mehr angebaut. Wenn die Baggertruppen fertig sind, errichten andere Arbeiter daher Solaranlagen. Es ist nicht ohne Ironie, dass die Nuklearkatastrophe von Fukushima auf diese Weise zu einem Boom der Solarenergie in der Präfektur Fukushima geführt hat.
Mein Zwischenziel ist eine Ladesäule in der Stadt Tomioka. Bis 2013 lag die Stadt, auf deren Gebiet das ehemalige Atomkraftwerk teilweise liegt, im absoluten Sperrgebiet. Für manche Ortsteile gilt das bis heute.
Von den ehemals 16.000 Einwohnern sind über die Jahre nur gut 1.000 zurückgekehrt. In den Wohngebieten klaffen keine Lücken. Es sind viel mehr die einzelnen Häuser, welche als Lücken im Brachland stehen.
Wer kann, hat der ehemaligen Heimat den Rücken gekehrt und einen Ort gesucht, an dem die Früchte der Felder genießbar sind und Kinder draußen spielen können.
Die Ladesäule, die ich anfahre, stellt sich bei Ankunft als exklusive Werks-Ladestation für die örtlichen Elektro-Omnibusse heraus. Ich bin nicht besonders traurig darüber, dass es hier nichts zu testen gibt und ich früher als geplant weiterfahren kann.